Intangibles - Unternehmenswerte, die man nicht sieht
In vielen Transaktionen entsteht der Eindruck, der Wert eines Unternehmens lasse sich sauber aus Finanzzahlen ableiten. Die meisten neueren modernen Geschäftsmodelle basieren jedoch, in Abhängigkeit von Branchen, nicht rein auf Maschinen, Immobilien oder Lagerbeständen, sondern auch auf immateriellen Faktoren, die in keiner Bilanz vollständig sichtbar werden. Wer heute ein Unternehmen kauft, kauft in erster Linie Wissen, Technologie, Beziehungen, Geschwindigkeit, Entscheidungsqualität und Marktpositionierung. Also Größen, die sich nur eingeschränkt messen lassen. Trotzdem entscheiden sie weitreichend über Kaufpreis, Risiko und die Frage, ob ein Deal im Nachgang funktioniert.
Intangible Assets umfassen nicht nur Patente, Markenrechte oder Software. Sie betreffen die tatsächliche Funktionsweise eines Unternehmens: Wie es Entscheidungen trifft, wie stabil das Management aufgestellt ist, wie Teams zusammenarbeiten, welche Kundenbindungen bestehen und wie stark die operative Umsetzung ist. Dazu kommen Faktoren wie Marktposition, Reputation, Talentdichte und die Fähigkeit, schnell auf Veränderungen zu reagieren. Viele dieser Elemente entstehen über Jahre hinweg und lassen sich kaum ersetzen oder einfach übertragen.
Diese Entwicklung zeigt sich besonders deutlich in Branchen, die von Wissen und Technologie geprägt sind. In Softwareunternehmen entsteht der Wert vor allem durch IP, Datenqualität und Entwicklungszyklen. In Healthcare und Life Sciences spielen regulatorische Expertise und Forschungstiefe eine zentrale Rolle. Konsumnahe Geschäftsmodelle leben von Markenprofil, Kundenloyalität und Community. Professional-Services-Unternehmen basieren auf Reputation, Fachwissen und Netzwerken. Und selbst Industriebetriebe, die früher stark assetgetrieben waren, stützen sich zunehmend auf Automatisierungskonzepte, Prozess-Know-how und proprietäre Technologien. In all diesen Bereichen kommen wesentliche Werttreiber aus Strukturen, die weder physisch noch leicht quantifizierbar sind.
Natürlich gibt es Bewertungsansätze, die immaterielle Werte abbilden sollen, doch sie erfassen nur einen Teil der Realität. Modelle wie der Income Approach, Lizenzanalysen oder Replacement-Kosten zeigen, was ein Asset theoretisch wert ist. Sie sagen wenig darüber aus, wie stabil dieser Wert im tatsächlichen Betrieb bleibt. Ein Team kann ausgezeichnet performen, solange es im vertrauten Umfeld arbeitet, aber an Effektivität verlieren, wenn Strukturen, Entscheidungswege oder Anreizsysteme nach einem Erwerb verändert werden. Kundenbeziehungen können stabil wirken, aber brüchig werden, sobald eine Schlüsselperson das Unternehmen verlässt. Technologien können skalierbar erscheinen, aber in der Praxis an wenigen hochspezialisierten Entwicklern hängen. Genau hier liegt die eigentliche Herausforderung für M&A-Berater.
Die Analyse beginnt nicht im Datenraum. Sie beginnt bei der Frage, wie ein Unternehmen tatsächlich arbeitet. Dazu gehört, Entscheidungsstrukturen sichtbar zu machen, realistische Selbsteinschätzungen des Managements zu prüfen, Abhängigkeiten zu identifizieren, die nicht explizit genannt werden und zu beurteilen, ob die Organisation ausreichend robust ist, um personelle Veränderungen oder neue Governance-Modelle auszuhalten. Es geht darum zu erkennen, welche Fähigkeiten dokumentiert sind und welche nur durch das Zusammenspiel bestimmter Personen entstehen. Für die Bewertung zählt, wie schnell Informationen bereitgestellt werden, wie Teams auf Druck reagieren und ob die operative Realität mit der Equity Story übereinstimmt.
Hinzu kommt, dass viele immaterielle Werte nicht statisch sind. Sie verändern sich durch den Deal selbst. Manche Stärken bestehen nur innerhalb der bestehenden Konstellation. Autonomie, kurze Wege, implizite Entscheidungslogiken oder eine besondere Gründerenergie können verschwinden, sobald neue Gesellschafterstrukturen eingeführt werden. Deshalb reicht es nicht, immaterielle Werte zu identifizieren. Man muss einschätzen, ob sie übertragbar sind und ob sie nach dem Closing weiterhin tragen. Das ist der Punkt, der darüber entscheidet, ob ein Kaufpreis gerechtfertigt ist oder ob Risiken neu bewertet werden müssen.
Wesentlich ist, ein Unternehmen nicht nur zu bewerten, sondern zu verstehen. Finanzdaten zeigen zwar, wo es steht. Immaterielle Faktoren zeigen, wohin es sich entwickeln kann. Transaktionen erschöpfen sich daher nicht in der Preisfrage, sondern in der Einschätzung der Zukunftsfähigkeit und diese lässt sich häufig nur an Aspekten beurteilen, die sich nicht in Zahlen abbilden lassen.
In der Praxis bedeutet das, Intangibles als zentralen Bestandteil der Bewertung zu betrachten. Ein bewusster Blick auf diese Faktoren schafft ein klareres Bild der Zukunftsfähigkeit, erhöht die Sicherheit in der Einschätzung und damit die Chance, Entscheidungen zu treffen, die langfristig Bestand haben können.
