IPO - Was steckt wirklich hinter einem Börsengang?
Ein Gespräch mit Dr. Andreas Zanner, Rechtsanwalt und Managing Partner bei Zanner Advisory, Frankfurt am Main
Unternehmen sichern ihr Wachstum typischerweise über klassische Finanzierungsinstrumente. Fremdkapital, etwa in Form von Bankkrediten oder Anleihen und Beteiligungskapital, sei es durch Private Equity, Venture Capital oder Family Offices. Beide Wege sind etabliert und leistungsfähig, haben jedoch klare Grenzen. Fremdkapital erhöht die Verschuldung, erfordert Sicherheiten und bleibt hinsichtlich Volumen und Flexibilität limitiert. Beteiligungskapital bringt zwar substanzielle Mittel, geht jedoch fast immer mit einem hohen Maß an Einflussnahme durch den Kapitalgeber einher.
Genau an dieser Stelle rückt der Börsengang, das Initial Public Offering (IPO), in den Blick. Unter IPO versteht man die erstmalige Ausgabe von Aktien eines Unternehmens an der Börse. Aus ökonomischer Sicht handelt es sich um einen Kapitalmarktprozess, bei dem privates oder institutionelles Kapital in Unternehmensanteile umgewandelt wird. Der entscheidende Unterschied zu klassischen Finanzierungen liegt darin, dass beim IPO Eigenkapital aufgenommen wird. Das Unternehmen erhält frisches Kapital, ohne es zurückzahlen zu müssen. Investoren wiederum können sich am künftigen Erfolg des Unternehmens beteiligen und ihre Anteile jederzeit am Kapitalmarkt handeln.
Diese Struktur bringt erhebliche Vorteile mit sich. Die Eigenkapitalquote verbessert sich, die Bonität steigt und der finanzielle Spielraum gegenüber Banken und Investoren wird größer. Banken reagieren auf diese stärkere Kapitalbasis mit besseren Konditionen und größerer Bereitschaft, zusätzliche Mittel bereitzustellen. Gleichzeitig sinkt die Abhängigkeit von einzelnen Kapitalgebern, weil sich die Investorenbasis nach einem IPO deutlich verbreitert. Nicht zuletzt eröffnen sich durch die Börsennotierung weitere Möglichkeiten wie Kapitalerhöhungen, die Platzierung von Anleihen oder die Nutzung von Aktien als Akquisitionswährung.
Damit wird der IPO für viele Unternehmen zu einem strategischen Instrument, das über reine Finanzierung hinausgeht. Er schafft nicht nur Kapital in größerem Umfang, sondern eröffnet auch neue Handlungsspielräume wie z.B. für internationale Expansion, die Finanzierung von Akquisitionen oder die Regelung einer Nachfolge. Ein Börsengang ist nie nur eine Finanzierungsentscheidung, sondern immer auch ein Schritt in eine neue Unternehmensphase. Er verändert die Wahrnehmung am Markt, verpflichtet zu Transparenz und Disziplin und positioniert das Unternehmen dauerhaft im Kapitalmarktumfeld. Gerade dieses Zusammenspiel aus Chancen, rechtlichen Anforderungen und Marktbedingungen zeigt, dass ein Börsengang zu den komplexesten Vorhaben eines Unternehmens gehört und ohne sorgfältige juristische wie strategische Vorbereitung kaum erfolgreich umzusetzen ist.
Um greifbar zu machen, wie dieser Weg in der Praxis aussieht, habe ich mit Dr. Andreas Zanner gesprochen. Er ist Rechtsanwalt und Managing Partner bei Zanner Advisory (www.zanner-advisory.de). In seiner Laufbahn hat er zahlreiche Börsengänge und Kapitalmarkttransaktionen begleitet und gilt in der Branche als erfahrener Experte in diesem Marktumfeld. Nach vielen Jahren als Partner in einer internationalen Kanzlei bringt er seine Erfahrung heute in seine eigene Beratung ein und unterstützt Unternehmen, Investoren und Gesellschaften dabei, die komplexen Anforderungen eines IPO rechtssicher, effizient und strategisch sinnvoll umzusetzen.
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Interview mit Dr. Andreas Zanner (Kapitalmarktrecht, Gesellschaftsrecht, M&A)
findSolutions AG: Herr Dr. Zanner, viele Unternehmer haben vom IPO gehört, können sich aber wenig unter dem Prozess vorstellen. Wie läuft ein Börsengang typischerweise ab?
Dr. Andreas Zanner: Eine Bank testet durch ein Market Sounding mit ausgesuchten Investoren, ob das Geschäftsmodell des Unternehmens verstanden wird und Interesse an einem Aktieninvestment besteht. Bei positivem Ergebnis sucht das Unternehmen geeignete Berater aus, die helfen, das Unternehmen IPO-Ready zu machen. Neben den begleitenden Investmentbanken sind Kapitalmarktanwälte, eine professionelle IR-Agentur und nach meiner Erfahrung auch ein Corporate Finance Berater sowie eine erfahrene WP-Gesellschaft nötig. Die Banken gehen mit der Gesellschaft auf Roadshow und versuchen, die richtigen Investoren zu gewinnen. Rechtsanwälte und WPs kümmern sich um das richtige regulatorische Setup und die IR-Agentur sorgt für die richtige Kommunikation gegenüber Presse und Kapitalmarkt zur richtigen Zeit. Damit ist die Saat angerichtet, sie muss dann aber auch noch aufgehen, um Angebot der Aktien und Nachfrage der Investoren danach zum passenden Preis zusammenzubringen.
findSolutions AG: Wie lange dauert ein IPO in der Praxis und an welchen Stellen wird es besonders anspruchsvoll?
Dr. Andreas Zanner: In sechs Monaten ist ein IPO zu schaffen. Für die Unternehmenslenker ist der IPO-Prozess besonders anspruchsvoll, insbesondere je näher der erste Handelstag rückt. Das Management muss neben dem operativen Tagesgeschäft auf Roadshow zu internationalen Investoren. Zudem ist noch eine Vielzahl von rechtlichen Dokumenten zu verhandeln und zu unterzeichnen. Insbesondere ist das Management auch in die Erstellung des Wertpapierprospekts, der von spezialisierten Rechtsanwaltspraxen geschrieben wird, stark eingebunden.
findSolutions AG: Welche Voraussetzungen muss ein Unternehmen mitbringen, damit ein IPO überhaupt realistisch wird?
Dr. Andreas Zanner: Zunächst müssen die formalen rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sein, also insbesondere eine börsenfähige Rechtsform hergestellt werden. In wirtschaftlicher Hinsicht ist folgendes wichtig: klare Wachstums-und Zukunftsstrategie, transparentes und erprobtes Geschäftsmodell, eine mit der Strategie und dem Businessplan kongruente Equity Story, starkes und erfahrenes Management (keine One-Man-Show), fundierte Umsatzentwicklung, zumindest eine klare Perspektive zum Erreichen der Profitabilität und der operativen Margen, starke Wettbewerbsstellung etc.
findSolutions AG: In welcher Phase im Lebenszyklus denken Unternehmer erfahrungsgemäß erstmals über einen Börsengang nach?
Dr. Andreas Zanner: Das kann ich nicht verallgemeinern und hängt neben der Branche von vielen Faktoren ab. Junge, wachstumsstarke Unternehmen denken sicher früher darüber nach als etablierte Familienunternehmen, bei der sich möglicherweise erst bei einem Nachfolgeproblem das Thema eines möglichen Börsengangs stellt.
findSolutions AG: Mit welchen Kosten muss ein Unternehmen bei einem Börsengang rechnen?
Dr. Andreas Zanner: Die Kosten lassen sich grob zwischen 4 und 9 % des Emissionserlöses kalkulieren.
findSolutions AG: Was sind aus Ihrer Erfahrung die wichtigsten Lessons Learned aus vergangenen IPOs? Gibt es typische Fehler, die sich vermeiden lassen?
Dr. Andreas Zanner: Unternehmen sollten möglichst frühzeitig mit der Vorbereitung eines Börsengangs beginnen, damit sie IPO-Ready sind, wenn aus makroökonomischer und geopolitischer Perspektive der Kapitalmarkt aufnahmefähig erscheint. Wer nicht präpariert ist, wenn die Märkte offen sind, der verpasst möglicherweise die Chance seines Lebens. Also nicht den Fehler machen, die Märkte zu beobachten und dann erst anzufangen.
findSolutions AG: Sie haben die Equity Story angesprochen. Wie wichtig ist Kommunikation im Rahmen eines IPOs?
Dr. Andreas Zanner: Die Equity Story ist das zentrale Element eines Börsengangs. Sie soll das Investoreninteresse wecken. Dazu ist eine professionelle Kommunikation erforderlich.
findSolutions AG: Welche Rolle spielt das Marktumfeld und das richtige Timing?
Dr. Andreas Zanner: Wie oben schon angesprochen, ist es von entscheidender Bedeutung für den Erfolg eines Börsengangs, das richtige Zeitfenster in einem geeigneten Marktumfeld zu erwischen. Damit das gelingt, muss ich mich frühzeitig vorbereiten und IPO-Ready sein.
findSolutions AG: Wie verändert sich ein Unternehmen nach dem IPO im Verhältnis zu seinen Investoren?
Dr. Andreas Zanner: Das Unternehmen muss nunmehr regelmäßig an seine Investoren berichten und Kontakt zu ihnen halten, nicht nur über die jährliche Hauptversammlung, sondern auch über Roadshow und etwaige Ad hoc-Meldungen bei kursrelevanten Ereignissen.
findSolutions AG: Sie haben bereits zahlreiche Transaktionen begleitet. Wie viele IPOs waren darunter und welche Rolle übernimmt Zanner Advisory konkret in einem solchen Prozess?
Dr. Zanner: Ich habe in meiner Zeit als Partner bei CMS Deutschland ungefähr 70 IPOs als Rechtsberater der Emittenten oder der Banken begleiten dürfen. Als Gründer von Zanner Advisory berate ich insbesondere junge Unternehmen bei Wachstumsfinanzierungen, am liebsten bis zum Exit über einen IPO.
findSolutions AG: Wenn Sie auf Ihre Erfahrungen zurückblicken: Welche Lehren haben Sie aus den IPOs für sich persönlich gezogen, auch über das Juristische hinaus?
Dr. Andreas Zanner: Es macht mehr Spaß, in Transaktionen von jüngeren Unternehmen zu beraten. Dort habe ich den direkten Kontakt zu Gründern und kann das Unternehmen "hands on" in seiner Entwicklung juristisch begleiten.
findSolutions AG: Zum Abschluss: Welche Hinweise würden Sie Unternehmen geben, die über einen Börsengang nachdenken?
Dr. Andreas Zanner: Fangt an, Euch vorzubereiten, schafft die Strukturen für einen IPO (hilft auch, wenn die Option des IPO nicht weiterverfolgt wird).
Vielen Dank für das spannende Interview, Dr. Andreas Zanner!
Frankfurt/Zürich 09. Dezember 2025
www.zanner-advisory.de
